Eines sonnigen Nachmittags schlenderte Lissi durch den Stadtpark. Die Bäume rauschten leise im Wind, und das Zwitschern der Vögel vermischte sich mit dem fernen Lachen spielender Kinder.
Zwischen hohen Bäumen und bunten Blumen entdeckte sie eine kleine, verlassene Bücherbude. Der Anstrich war abgeblättert, und Efeu rankte sich um die morschen Holzbretter.
Neugierig trat sie näher und spürte einen süßen Duft nach alten Seiten in der Luft. Auf einem wackeligen Regal lag ein altes, ledergebundenes Buch. In goldenen Buchstaben stand darauf: „Das Buch der lebendigen Geschichten“. Die Buchstaben funkelten schwach, als würden sie atmen.
Vorsichtig strich Lissi mit den Fingern über den Einband. Plötzlich blätterten die Seiten wie von selbst um, bis sie bei einer Geschichte zum Stillstand kamen. Die Buchstaben begannen sanft zu leuchten, und ein leises Flüstern war zu hören.
Noch ehe Lissi reagieren konnte, wurde sie von einem goldenen Lichtstrahl umhüllt und fand sich mitten in einem verwunschenen Wald wieder. Hohe Bäume warfen tanzende Schatten, und bunte Vögel flatterten über ihr hinweg. Vor ihr raschelte es im Gebüsch, und ein kleiner Fuchs mit einem roten Schal trat vorsichtig hervor.
„Hallo! Ich bin Rufus. Bist du hier, um den gestohlenen Stern zurückzubringen?“, fragte der Fuchs mit großen, erwartungsvollen Augen.
Lissi starrte ihn erstaunt an, spürte aber, dass sie hier eine wichtige Aufgabe hatte. Sie nickte langsam. „Ich glaube schon. Aber… wer hat den Stern gestohlen?“
Rufus sah sich nervös um. „Ein frecher Kobold hat den hellsten Stern vom Himmel gestohlen. Ohne ihn ist der Nachthimmel dunkel und traurig. Wir müssen ihn zurückholen! Aber der Weg ist gefährlich.“
Entschlossen folgte Lissi dem kleinen Fuchs. Bald erreichten sie eine klapprige Hängebrücke, die über eine tiefe Schlucht führte. Der Wind ließ die morschen Planken knarren.
Lissi holte tief Luft und balancierte vorsichtig hinüber. Auf der anderen Seite schnarchte ein riesiger Drache in einer Felshöhle. Aus seinen Nüstern stiegen kleine Rauchwölkchen auf.
Rufus zitterte. „Wir müssen leise sein. Er träumt davon, seine Schuppen zu polieren, und wenn er aufwacht, ist er schlecht gelaunt.“
Vorsichtig schlichen sie vorbei, bis sie schließlich die Koboldhöhle erreichten. Der Kobold saß auf einem Haufen glitzernder Schätze und warf den gestohlenen Stern wie einen Ball in die Luft. Er lachte hämisch.
Lissi trat mutig vor. „Bitte gib den Stern zurück! Der Himmel braucht ihn!“
Der Kobold grinste frech. „Und warum sollte ich? Er glitzert so schön. Er gehört jetzt mir!“
Da erinnerte sich Lissi an das Flüstern aus dem Buch. Sie griff in ihre Hosentasche und fand ein Stück Kreide, das sie vorher nicht bemerkt hatte.
Behutsam begann sie, eine leuchtende Geschichte auf den Höhlenboden zu malen. Nach und nach erwachten die Bilder zum Leben: ein funkelndes Schloss voller Sterne, die in bunten Farben leuchteten.
Der Kobold staunte mit offenem Mund. „So etwas habe ich noch nie gesehen! Wenn du mir beibringst, solche Geschichten zu malen, gebe ich dir den Stern zurück!“
Lissi lächelte. „Abgemacht. Aber zuerst bringen wir den Stern zurück an den Himmel.“
Gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Als der Stern wieder an seinem Platz erstrahlte, glitzerte der Nachthimmel heller als je zuvor.
Plötzlich wurde Lissi von einem warmen Licht erfasst und fand sich zurück im Park neben der alten Bücherbude. Das Buch lag still in ihren Händen, aber ein kleines Glitzern huschte über die Seiten.